Philippinen in Coronazeiten

Bericht von Heinz Kulüke SVD – University of San Carlos – Cebu City – PHILIPPINEN Dezember 2020 

Liebe Freunde und Förderer in der Heimat, diesen Rundbrief am Ende des Jahres darf ich mit einem herzlichen Gruß aus Cebu beginnen. Wie wohl überall auf der Welt stand auch hier das Jahr 2020 ganz im Zeichen der Coronavirus-Pandemie. Trotz der weltweiten Krise durften wir wieder einmal die gewohnt sehr großzügige Unterstützung aus der Heimat erfahren, die uns hier vor Ort vielerlei Hilfen für Menschen in Not ermöglicht hat. Dafür sind wir von Herzen dankbar. 

Hilfsprojekte im Rahmen der Coronavirus Pandemie 

Von März bis August mussten allwöchentlich bis zu 5.000 Familien (25.000 bis 30.000 Menschen – die Mehrheit davon Kinder) in unseren Projekt- gebieten mit Grundnahrungsmitteln wie Reis, Fisch, Nudeln und Milch versorgt werden. Das sind arme Familien von Mülldeponien, aus Stadtslums, aus Fischer- und Kleinbauerndörfern, sowie von den Friedhöfen und Gehwegen der Stadt Cebu. „Wir haben nichts mehr zu essen“, diesen Satz habe ich in all den Jahren auf den Philippinen noch nie so häufig gehört, wie in den vergangenen Monaten; auch habe ich hier in den Straßen noch nie so viele Menschen betteln oder nach Nahrung in den Mülltonnen suchen sehen. Die Tage begannen damit, die hungrigen Menschen vor unserer Tür zu versorgen und dann die Hilfsgüter für die Menschen auf den Mülldeponien und in anderen Slums zu koordinieren. Gleich zu Anfang und dann über viele Monate, von März bis August, ging es vor allem um die Finanzierung von Nahrung; später kamen dann auch Ausgaben für Medikamente, Krankenhausbehandlungen, Heimfahrten und Beerdigungen hinzu. Es stimmt traurig, wie schnell Menschen ohne Rücklagen, ohne Versicherungen und mit nur sehr begrenzten Hilfen von der Regierung in absolute Not geraten können. Die großzügige Unterstützung aus der Heimat hat vielen Menschen hier das Überleben ermöglicht. Dafür darf ich im Namen all dieser Menschen von Herzen danken. 

Hausbauprojekte 

Aufgrund der über fünfmonatigen Ausgangssperre und des Baumaterialmangels kamen die Arbeiten in unseren Hausbauprojekten zum Stillstand. Seit Mitte August kann weitergebaut werden. Da viele der einfachen Bauarbeiter aus unseren eigenen Projektgebieten stammen, können wir so bis zu 40 Familien Arbeit und ein Einkommen sichern. Das ist gerade in der Zeit der anhaltenden Krise wichtig, da so viele Menschen ihre Arbeit verloren und auch in den kommenden Monaten kaum eine Chance auf eine neue Anstellung haben. Das San Pio Village ist mit 310 Häusern (etwa 2.000 Menschen) fast fertig. Das vor der Krise begonnene St. Arnold Janssen Village wird 130 Familien (bis zu 1.000 Menschen) von den Mülldeponien, aus den verarmten Fischerdörfern und von den Straßen ein neues Zuhause geben. Die erste Phase mit 60 Häusern ist abgeschlossen. 30 Familien leben bereits in dem Dorf. An der Infrastruktur der zweiten Phase mit 70 Häusern wird derzeit weitergebaut. Je nach den Entwicklungen der Pandemie und den zur Verfügung stehenden Geldern (die Kosten betragen derzeit Euro 5.500 pro Haus) hoffen wir, die Bauarbeiten gegen Ende 2021 abzuschließen. Auch hier darf ich allen großzügigen Spenderinnen und Spendern danken, die den oben genannten Familien ein menschen- würdiges Leben in unseren Umsiedlungsgebieten ermöglichen. 

Schulungsprogramme für Kinder und Jugendliche

Alljährlich muss über 2.000 Kindern von den vier Mülldeponien, den Straßen und aus den Slums der Besuch der Grund- und Mittelschule finanziert werden. Hinzu kommen die Jugendlichen in der Senior High School (Oberstufe). Die Kosten für Schul- materialien (Bücher, Hefte, Stifte), Kleidung, Schuhe, Rucksäcke, Nahrung, Transport und Schulgebühren in Regierungsschulen sind wie folgt: Euro 70 – pro Jahr und Schüler in der Grundschule (6 Jahre); Euro 120 – pro Jahr und Schüler in der Mittelschule (4 Jahre); Euro 250 – pro Jahr und Schüler in der Senior High School (Oberstufe). In der Oberstufe werden berufsbildende Kurse angeboten, sodass sich die Schüler nach Abschluss bereits um Arbeitsplätze bewerben können. Eine gute Schulbildung öffnet bekanntlich die Türen zu einer besseren Zukunft. Das muss selbst in Zeiten der Coronaviruskrise weitergehen, wenn auch mit anderen Methoden. Der Dank der Familien für diese Form der Hilfe ist groß. 

Straßenmenschen – Erwachsene und Kinder

„Wo ist Dein Ehemann?“ frage ich die ältere Frau, die nach Essen im Müll sucht … Beschämt, aber ganz schnell kommt die Antwort: „Er sucht Arbeit“ … „Wo ist Euer Vater“ frage ich die Kinder auf dem Gehweg und wieder kommt die gleiche Antwort … Das ganze wiederholt sich an diesem Tag, 14. Juli 2020, bei meinem Besuch der Straßenmenschen in der Altstadt weit über zwanzigmal … 
Die Anzahl der Straßenmenschen ist seit dem Beginn der Pandemie rapide angestiegen. Ganze Familien hat der Hunger in die Stadt getrieben, die auf den Gehwegen durch Müllsammeln und Betteln zu überleben versuchen. Wegen der hohen Infektionsraten und des Kontaktverbots war unser Zentrum für die Straßenmenschen (Haus des Samariters/Balay Samaritano) von März bis August geschlossen. Die Menschen mussten in dieser Zeit direkt auf den Gehwegen vor allem mit Nahrung und auch mit Medikamenten versorgt werden. Das Zentrum ist seit September wieder geöffnet und alltäglich Anlaufstelle für zahlreiche Menschen in Not. Weit über 100 Kinder und ältere Straßenmenschen erhalten hier täglich eine warme Mahlzeit, werden gesundheitlich versorgt und können sich und auch ihre Kleider waschen. Täglich werden zudem Mahlzeiten für die auf den Straßen verbliebenen Menschen vorbereitet und verteilt. Die Straßenmenschen sind den großzügigen Sponsoren dankbar, die uns diese Arbeit hier ermöglichen. 

Rotlichtmilieus – Menschenhandel

„In Not geratene Menschen sind leichte Beute für Menschenhändler“. Was aus anderen Krisenzeiten bekannt ist, gilt auch für die Coronavirus-Pandemie. Vor allem bereitet die zunehmende sexuelle Ausbeutung von Kindern und jungen Menschen im Internet große Sorgen (OSEC – Online Sexual Exploitation of Children). Unsere Aufklärungsarbeit läuft weiter und auch die konkrete Hilfe für die Opfer dieser Form der Ausbeutung, die Aufnahme in unseren 3 Zentren finden. Die Schwestern vom Guten Hirten koordinieren die Hilfsprogramme für etwa 60 Mädchen in den Zentren und Hunderte von jungen Menschen auf den Straßen und in Slums. 

Lichtblicke in Zeiten der Not – 30. August 2020 – Schon seit über einer Stunde sitzt die ältere Frau vor einem der wenigen Geschäfte, die noch nicht geschlossen sind und Lebensmittel verkaufen dürfen … Wie viele der anderen Bettler, die derzeit das Straßenbild von Cebu prägen, hofft sie, dass jemand ihr ein wenig Geld schenkt, damit sie sich etwas zu Essen kaufen kann … Ich kenne die über siebzigjährige Johanna … Als ich gerade die Straße überqueren und zu ihr gehen will, sehe ich, wie eine aus dem Geschäft kommende Frau Johanna einige Münzen in die Hand drückt … Es kommt zu einem bewegenden Szenenwechsel … Johanna steht sofort auf und geht ins Geschäft … Sie kommt mit zwei kleinen Brötchen wieder heraus und will gerade anfangen zu essen, als sie einen älteren, ziemlich herabgekommenen, abgemagerten und in Lumpen gekleideten alten Mann einige Schritte entfernt betteln sieht … Sie geht hin, setzt sich zu ihm und teilt, ohne zu zögern, eines der von ihr gekauften Brötchen … Sie essen gemeinsam … Dabei wechseln sie einige Worte, die ihre von Leid gekennzeichneten Gesichter in ein strahlendes Lächeln verwandeln … Ein „Lichtblick“ … „Teilen“ … „Solidarität“ in Zeiten großer Not … Das hat auch hier vielen Menschen in einer derartigen, seit den Kriegen nicht mehr dagewesenen, Notlage geholfen, zu überleben … 

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